Chronoswiss Uhren GmbH - Chinesen retten Münchner Uhrmacher
Krise hat Chronoswiss ordentlich gebeutelt / Erfolgsgeheimnis bleibt: Nur mechanische Uhrwerke
Wenn Gerd-Rüdiger Lang, geschäftsführender Gesellschafter der Chronoswiss Uhren GmbH, einen Besucher in seinem Geschäftshaus in Karlsfeld bei München empfängt, trägt er seine Uhrmacherlupe immer noch auf der Stirn. Er lächelt und sagt heute nicht ohne Stolz: „Wir haben unsere Krise überwunden.“
Ursache für die Notlage von Chronoswiss war die Weltwirtschaftskrise, sagt er. „Wir hatten Probleme mit der Liquidität“, beschreibt er seine Situation 2009, die er die 25 Jahre vorher nicht hatte. Das Unternehmen sei bis dahin kontinuierlich gewachsen – finanziert stets aus eigenem Cashflow. Kredite von den Banken habe er nie gebraucht, betont Lang.
Doch 2009 seien plötzlich Aufträge von überall auf der Welt storniert worden, seine Lieferanten hätten aber weiter die von ihm rechtzeitig bestellten Teile für die Uhren geliefert. Am Ende des Jahres summierte sich der Umsatz auf nur sechs Millionen Euro, der Wert der halbfertigen Teile am Lager belief sich aber auf rund neun Millionen. Lang: „Es klaffte bald ein Loch von rund 3,5 Millionen Euro.“
Als eine Art letzte Rettung füllte dieses Finanzloch schließlich ein zinsgünstiger Kredit der bundeseigenen Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) aus einem speziellen Programm, das krisenbedingte Pleiten von deutschen Unternehmen verhindern sollte. Doch als Sicherheit („Die haben mich ausgezogen“) musste er so ziemlich alles hinterlegen, was er besaß: Das neue Wohnhaus in Starnberg, die 2006 gebaute Firmenzentrale in Karlsfeld, seine Uhren- und Oldtimer-Sammlung. Nach dem ganzen Procedere, erklärt Lang, habe er viel gelernt – vor allem über Banken, deren Geschäft er vorher nicht so recht kannte.
Ein wichtiger Auslöser der geschäftlichen Wende zum Besseren waren die Chinesen. Mit FJ Benjamin hat Chronoswiss einen neuen versierten Vertriebspartner für den Fernen Osten gewonnen, der dort etabliert ist und gleich einen Auftrag über 2,5 Millionen Euro bei ihm platzierte. „Diese Uhren fertigen wir jetzt“, sagt er zufrieden. Allein in China will er binnen zwei Jahren 100 zusätzliche Verkaufspunkte besetzen; insgesamt sind Chronoswiss-Uhren in aller Welt bis jetzt an 500 Verkaufsstellen zu haben. Und auch in vielen anderen Exportmärkten geht es auch wieder besser. Im letzten Jahr sei Langs Geschäft „schon auf dem Weg der Gesundung“ gewesen. „Dieses Jahr werden wir wieder ein Plus machen“, hofft er.
Die Nachfrageschwäche hat den Uhrmacher Lang dazu bewogen, seine Kollektionen zu straffen, einige neue gefälligere Modelle zu schaffen. Aber an seinem Credo änderte er nichts: „Meine Uhren gehen alle hundert Jahre nach.“ Mit diesem ungewöhnlichen Geständnis ist Gerd-Rüdiger Lang immer noch unterwegs. Es ist seine Produktphilosophie, die bedeutet, dass alle seine Uhren ein mechanisches Uhrwerk haben, das vom gleichmäßigen Schwung der Unruh in Gang gehalten wird. Strenggenommen ist diese recht antiquierte Zeitmesstechnik aus dem 19. Jahrhundert.
Aber gerade im 21. Jahrhundert – dem Informations- und Computerzeitalter – hat diese Rückbesinnung Kultstatus: Seitdem die Zeit sekundengenau ubiquitär ist, weil in jedem Handy, Notebookcomputer oder Auto vorhanden, gönnt man der Handgelenkzierde wenige Sekunden Abweichung am Tag, nimmt ein regelmäßiges Stellen der Uhr auf sich. Schließlich ist allen bewusst, dass jedes Meeting oder jeder Abflug auf die Minute und nicht etwa bereits auf die Sekunde terminiert ist.
Aber eigentlich geht es um ganz etwas anderes: Vor allem Männern gilt die Zeitanzeige nur als Alibi, weil ihnen die Mechanik zum Schmuck geworden ist. Er schließt an eine funktionale Ästhetik an, die ähnlich der weit verbreiteten maskulinen Vorliebe für Automobile ist. Und damit die Innerei auch sichtbar ist, gestatten alle Chronoswiss-Uhren seit Anfang der achtziger Jahre durch einen Gasboden den intimen Einblick. Durch ihn sieht man die unablässig schwingende Unruh zum Zeichen, dass es sich um eine „Uhr mit Seele“ handelt.
Es gibt mittlerweile keine Luxusuhrenmarke, die ohne Mechanikwerk auskommt. Immer mehr setzt sich die Erkenntnis durch, dass eine Uhr, die viele tausend Euro kostet, einen Wert für die Ewigkeit sein soll. Qualifizierte Uhrmacher können selbst einen Jahrhunderte alten Zeitmesser heute noch in Gang setzen, fehlende Teile eigens anfertigen. Uhren von Chronoswiss, die einen durchschnittlichen Verkaufspreis von 6500 Euro erreichen, profitieren von diesem Trend zur Mechanik, haben sich am hartumkämpften Markt der Luxusuhren etablieren können. In letztem Jahr sind rund 4000 Uhren verkauft worden; davon blieb ein Viertel in Deutschland, allein ein Drittel ging nach Asien und die übrigen verteilen sich auf 40 Exportländer. Den bisher höchsten Umsatz erzielte Lang im Jahr 2007 mit rund 14 Millionen Euro (zu Fabrikabgabepreisen).
Lang erntete damals, was er vor bald 25 Jahren säte. Denn er hat wohl als einer der ersten Uhrenhersteller das Bekenntnis zur alten Mechanik abgelegt. Er hat das nicht erst in den letzten 20 Jahren getan, als die sogenannte „Renaissance der Mechanik“ bereits Garant für gute Geschäfte war. Er musste nicht auf den fahrenden Zug aufspringen, denn er stand längst auf der Lokomotive. Anfang der achtziger Jahre hatten selbst die meisten Luxusuhrenmarken noch ein elektronisches Innenleben, Chronoswiss nie. Selbst prestigeträchtige Branchenführer wie Patek Philippe beispielsweise hatten damals sogar ihr eigenes elektronisches Innenleben konstruieren lassen und die Liebe zu den sich drehenden Rädern einer schrumpfenden Gemeinde von Enthusiasten zugesprochen. Seit Jahren steht in der wachsenden Gemeinde der Uhrenkenner die Mechanik hoch im Kurs.
Langs Liebe zur Mechanik hatte auch persönliche Gründe. Schließlich kostete ihn die „Quarzzeit“ der siebziger Jahre einst die Stellung als Deutschland-Chef des bekannten Schweizer Chronographenherstellers Heuer, dessen deutsches Geschäft er von München aus aufbauen sollte. Doch Ed. Heuer & Cie. setzte offenbar zu spät auf die damals boomenden Quarzuhren und musste 1979 schließlich aufgeben wie die meisten Schweizer Traditionsuhrmacher zu dieser Zeit. Der gebürtige Braunschweiger Lang wollte aber partout „in München bleiben“, wo er sich am Anfang seiner Selbständigkeit mit Reparaturen durchschlagen musste.
Nolens, volens gründete der Uhrmachermeister 1982 im Keller seines damaligen Reihenhauses in der Münchner Vorstadt Allach die seinerzeit einzige Fabrikation für Armbanduhren Münchens, vielleicht sogar Bayerns. Obwohl es damals genug ungenutzte, traditionsreiche und wohlklingende französische Markennamen gab, wollte Lang mit seiner Marke „Chronoswiss“ vor allem bei der Wahrheit bleiben: „Chrono“ steht eben für „Zeit“ und „swiss“ natürlich für die Schweiz, woher er bis heute 95 Prozent aller Teile für seine Uhren bezieht. Von deutschen Zulieferern aus Pforzheim wollte er sich nicht beliefern lassen, weil dort seine hohen Qualitätsansprüche nicht erfüllt werden konnten. Allein die Schweizer schafften das, die er gut kennt, weil er zwischen 1962 und 1969 dort selbst gearbeitet hatte.
Unter den Eidgenossen fand Chronoswiss-Chef Lang auch sein Vorbild in der Führung seiner kleinen Uhrenfabrik: Jack W. Heuer. Dieser scheiterte zwar am Quarzuhrentrend, leitete aber sein Unternehmen stets als Patron und stand in seiner Person für seine Uhren. Lang wollte werden wie Heuer, denn er wisse ohne irgendwelche Marketingexperten, sagt er, „wie eine Uhr aussehen muss, die ich meinen Kunden verkaufen kann“. Dabei überlässt er nichts dem Zufall, gestaltet selbst wenig auffällige Details mit großer Akribie: Auf seinen Uhren reichen die Zeiger genau auf die Skala, deren Werte sie vermitteln sollen. In solchen Finessen verlieren sich nur wenige von den etablierten Luxusuhrenmarken.
Er schuf Uhren mit typischem Gesicht wie 1987 den „Régulateur“; fast alle haben eine geriffelte Lünette, eine Zwiebelkrone und Breguet-Zeiger. 1991 brachte der den Chronographen „Kairos“, 1992 ein Doppelzeiger-Chronograph-Rattrapante, 1993 die Wendeuhr „Cabrio“ und die „Orea“ mit weißem Emailzifferblatt, 1994 die „Opus“ einen skelettierten Chronographen, 1996 vereint die „Delphis“ analoge, digitale und retrograde Anzeige.
Manchmal kommt ihm auch das Glück zur Hilfe. Als beispielsweise der aus Wagniskapital finanzierte Uhrwerkekonstrukteur Progress Watch AG in Biel für sein preisgünstiges, aber hochkompliziertes Tourbillon-Werk einen Vorzeigekunden sucht, ist Lang zur Stelle. Er macht daraus im Jahr 2000 sein „Régulateur à Tourbillon“ zum Schnäppchenpreis von gut 23.000 Euro. Eine derartige Spezialität kostet bei den eingeführten Prestigemarken ein Mehrfaches. 2003 wagt Chronoswiss eine Uhr, die die Zeit wie eine Turmuhr schlagen kann – „Répetition à Quarts“ – eine wohlklingende Viertelrepetition. Und 2005 stellt die Münchner Marke sogar einen so genannten Ewigen Kalender vor, der „nur“ 16.930 Euro kostet. Die teuerste Chronoswiss ist derzeit eine skelettierte „Répetition à Quarts“ in Platin zu fast 50.000 Euro. Für Audis 100. Geburtstag 2009 hat Lang den Chronographen „Tachoscope“ geschaffen.
Im Zuge der Krise hat er seine Kollektionen etwas ausgedünnt, beschränkt sich auf vier verschiedene Linien. Chronoswiss hat im März auf der „Baselworld“, der größten Messe für Uhren und Schmuck, mit dem „Timemaster Split Second“, der „Balance“ (mit zwei retrograden Anzeigen) und der „Pacific“ Linie gefälligere Interpretationen des Chronoswiss-Stils gezeigt. Denn Langs Design gefällt nicht automatisch jedem; er kopiert nicht, zitiert optisch manchmal alte Meister wie den Chronometermacher Louis Berthoud oder Louis Abraham Breguet.
Weil das Wissen, ob der traditionellen Uhrmacherei, in den achtziger Jahren bei seinen potentiellen Kunden kaum mehr präsent war, gestaltet Lang seine Kataloge als bibliophile Kostbarkeiten: In Leinen eingeschlagen und aufwendig gebunden ist er mehr als die Versammlung aller angebotenen Uhren. Dort werden interessante Geschichten rund um Uhren erzählt und am Ende steht ein mehrseitiges Glossar, das so ziemlich alles Wissenswerte um die mechanische Uhrmacherei erklärt. Damit trifft Lang auf ein Bedürfnis von Uhrenliebhaber, die über ihre Handgelenkzierde genau so kompetent reden wollen wie möglicherweise über den Achtzylindermotor ihres Automobils.
Bei Chronoswiss weiß man, dass vor allem Kenner Langs Uhren kaufen. Im Jahr 2006 hat er sich in Karlsfeld etabliert und fünf Millionen Euro in ein eigenes Geschäftshaus investiert, wo jetzt seine 38 Mitarbeiter (15 davon gelernte Uhrmacher) beschäftigt sind; in Biel in der Schweiz arbeiten vier Leute beim Tochterunternehmen Chronosa SA und bei den 15 verschiedenen Zulieferern sollen nochmals 130 Leute an Langs Uhren arbeiten. „Sie können uns ruhig als Schweizer Uhrenmarke auf deutschem Boden bezeichnen“, erklärte Lang einmal einer Schweizer Zeitschrift.
Diese Aussage ist von tieferer Bedeutung, denn die Eidgenossen haben vor einigen Jahren in einem Gesetz festgelegt, dass Uhren das begehrte „Swiss made“ nur tragen dürfen, wenn sie auch in der Schweiz fertiggestellt worden sind. Ob alle Bestandteile schweizerisch sind, ist aus gutem Grund gar nicht entscheidend. Denn in der Eidgenossenschaft beziehen viele Uhrmacher Teile billig aus Fernost und assemblieren die Werke in der Schweiz bestenfalls. Um das Prädikat für Chronoswiss zu erhalten, wird in Biel eingeschalt, in München wieder geöffnet und nach Prüfung und eventueller Dekoration abermals der Deckel draufgetan. Die Toleranz der Eidgenossen dürfte auch die Marke Chronoswiss genießen. Ihre Kunden aber wissen, dass alle Teile garantiert in der Schweiz produziert werden und nicht etwa aus China importiert werden. Das ist vor allem den chinesischen Kunden am wichtigsten.
Für diese Politik steht Lang seit 28 Jahren. Seit 1. Juli hat sich der 68-jährige Unternehmer aus dem Tagesgeschäft zurückgezogen, gehört dem noch zu gründenden Beirat an. Er wollte schon früher aufhören, doch dann kam die Krise. „Es gibt vielleicht bessere Uhrmacher, bessere Designer und bessere Kaufleute als ich einer bin“, erklärt er, „aber kaum einen, der alle drei Eigenschaften hat.“ Große Schuhe, die kaum ein einzelner Nachfolger wird füllen können. Seine Tochter Nathalie (35), gelernte Uhrmacherin und derzeit Mutter zweier kleiner Kinder, ist jedenfalls halbtags im Unternehmen beschäftigt. Die Geschäftsführung teilen sich seit einem Monat Sigrun Schillings-Heinen für Finanzen, Personal und Einkauf sowie Karlo Josef Burgmayer für Vertrieb, Marketing, Produktion und Service. Keiner der beiden Geschäftsführer trägt eine Uhrmacherlupe auf der Stirn. Denn die Uhren entwirft immer noch Lang selbst – vorerst jedenfalls. Wird das neue Team die Erfolgsgeschichte Chronoswiss’ fortschreiben können?
Quelle: Wirtschaft – Das IHK-Magazin für München und Oberbayern – 08/2011