Hallo zusammen,
angeregt durch Cian's Vergleich seiner Sinn 757 Diapal mit der Guinand Duograph Flieger und der positiven Resonanz einiger Leser auf seinen Beitrag, verbunden mit dem Wunsch, gerne mehr über solche Gegenüberstellungen/Vergleiche hier zu lesen, habe ich mir mal Gedanken gemacht, wie wohl die persönliche Gegenüberstellung meiner beiden Sinn-Chronographen ausfallen würde.
Ich möchte euch an diesen Gedanken teilhaben lassen und schildere euch hier meine ganz persönlichen Eindrücke der 157 St Ty und der 757 UTC, beide mit Edelstahl-Armband. Sorry, das wird etwas länger … :-)
Wir, die Sinn 157 St Ty und ich, kamen vor genau 20 Jahren zusammen. Lange, sehr lange hatte ich seinerzeit mit dem Gedanken gespielt, mir einen hochwertigen Chronographen mit mechanischem Werk anzuschaffen.
Sämtliche Uhren aller bekannten Marken in diesem Sektor fand ich viel zu teuer und/oder sie gefielen mir nicht. Sinn war zu dieser Zeit noch so etwas wie ein Geheimtipp mit sehr gutem Preis- /Leistungsverhältnis. Meine Affinität zur Fliegerei und die für mich sehr ansprechende und vor allem authentische Historie der Firma Sinn, bedingt durch Helmut Sinns persönlichen Werdegang, gaben den Ausschlag, dass es ein Chronograph aus dem Hause Sinn werden sollte - auch wenn der Firmengründer zu diesem Zeitpunkt bereits aus seinem Unternehmen ausgeschieden war.
Die Entscheidung, welches Sinn-Modell es denn werden sollte, war schnell getroffen. Die 157 ST Ty hatte für meinen Geschmack das stimmigste Zifferblatt und die am besten abzulesende Stoppzeit, wenn auch das Gehäuse ohne Bandanstoßhörner gewöhnungsbedürftig daherkam.
Den damaligen Kaufpreis für einen Chronographen, der sich mit seinem Lemania 5100-Werk wohltuend aus der breiten Masse der Chronographen mit Valjoux 7750-Werk abhob, war mit 1.750,- DM (das entsprach damals nur 895,- Euro) aus heutiger Sicht ein Schnäppchen.
Ganz anders meine vier Monate alte 757 UTC. Mit einem UVP-Kaufpreis von 3.250,- Euro ist sie mittlerweile in Preisregionen vorgedrungen, von denen ich mir vor 20 Jahren überhaupt nicht vorstellen konnte, dass ich diese Summe für eine Uhr auszugeben bereit sein würde. Auch wenn ich meine 757 UTC im nahen Ausland deutlich günstiger erwerben konnte finde ich sie immer noch grenzwertig teuer für eine Uhr – egal, mit welchen besonderen Technologien sie ausgestattet ist.
Was die Wertigkeit aller von außen sichtbaren Komponenten betrifft, hat die alte 157 die Nase vorne. Sie ist in jeder Hinsicht nahezu perfekt verarbeitet und alle Komponenten präsentieren sich makellos.
Hier kann die (meine) 757 nicht mithalten. Über die sehr klapprige und somit „billig“ anmutende Lünettenrastung und -zentrierung sowie die Verunreinigung eines Zeigers und Staubeinschlüsse unter dem Glas hatte ich an anderer Stelle berichtet. Für mich ein in diesem Preissegment inakzeptabler Makel, den man eigentlich reklamieren müsste.
Die Oberflächenhärtung der 757 finde ich klasse. Die Praxis zeigt, dass man sich, wenn man keine Kratzer haben möchte, mit der 757 längst nicht so umsichtig bewegen muss wie mit der 157 oder jeder anderen nicht gehärteten Uhr. Grade im engen Flugzeug, wo man trotz aller Sorgfalt doch hin und wieder mal irgendwo leicht aneckt, ist das prima.
Die beidseitige Entspiegelung des Glases bei der 757 ist in ihrer Wirkung tatsächlich noch etwas effektiver als die einseitige und schon sehr gute Entspiegelung der 157. Es erscheint fast so, als hätte die 757 gar kein Glas.
Das begünstigt nochmal die ohnehin schon unübertreffliche Ablesbarkeit der 757 – zumindest was die Uhrzeit betrifft. So krasse Kontraste zwischen Zeigern und Zifferblatt habe ich noch bei keiner anderen Uhr gesehen.
Wobei die 157 hier keineswegs schlecht ist, im Gegenteil, auch auf ihr lässt sich die Zeit ganz hervorragend ablesen, nur sind Zeiger und Minuterie filigraner ausgeführt als bei der in dieser Hinsicht fast schon grobschlächtig wirkenden 757.
Wo die 157 wiederum bei der Ablesbarkeit bzw. schnellen Erfassung der Anzeige punktet, ist die Stoppzeit. Zum Einen, weil alle drei Stoppzeit-Zeiger orange ausgeführt sind und sich somit von den anderen, weißen Zeigern der normalen Zeit schon farblich deutlich abheben, zum Anderen, weil hier der Stoppminuten-Zeiger zentral aus der Mitte kommt. Das ist einfach genial und zweifellos einer der markantesten Vorteile des Lamania 5100-Werks. Während bei der 157 ein flüchtiger Blick genügt, um unmissverständlich und zuverlässig die Stoppzeit abzulesen, braucht man bei einer Uhr mit Valjoux 7750-Werk, wie der 757, immer einen längeren Blick und man muss genau auf den 30-Minuten Totalisator achten, um die Stoppzeit zweifelsfrei ablesen zu können. Zudem heben sich die dünnen Zeiger in den Totalisatoren bei der 757 je nach Stellung nicht gut von den fetten Zahlen „12“ und „6“ ab, weil sie genauso weiß sind. Im Hinblick auf die Praxistauglichkeit der Stoppuhr ist also die 157 klar im Vorteil.
Auch dass die 157 Datum und Wochentag groß anzeigt empfinde ich als Vorteil gegenüber der etwas klein ausgefallenen Datumsanzeige ohne Wochentag bei der 757.
Und den fehlenden Sekundenzeiger bei der 757 vermisse ich nach vier Monaten Tragezeit doch irgendwie. Ich weiß, er wurde bewusst weggelassen, um nicht vom Wesentlichen abzulenken und das Fehlen begünstigt natürlich die Symmetrie des Zifferblatts. Meine persönliche Meinung ist aber, dass er mich nicht vom Wesentlichen ablenken würde und dass ich es bei der 157 schön anzusehen finde, wie er sich nahezu fließend bewegt, während man bei der 757 beim Draufblicken immer den Eindruck hat, dass die Uhr steht :-)
Toll hingegen an der 757 UTC ist der grelle Zeiger für die UTC-Zeit. Beim Fliegen – und wenn es auch nur in Deutschland ist – wird immer alles in UTC-Zeit aufgeschrieben, so hilft mir die 757, nicht aus Versehen die aktuelle Lokalzeit zu notieren. Das ist mir wichtiger als die 24-Stunden-Anzeige der 157, die ganz nett, aber für mich nicht relevant ist. Und den Zeiger, in Kombination mit dem gleichfarbigen UTC-Schriftzug, empfinde ich unabhängig von seiner für mich wichtigen Funktion als netten „Farbklecks“ in den ansonsten farblich schlicht gehaltenen Uhr.
Die Sichtbarkeit der Leuchtmasse bei Nacht war bei meiner 157 mal ganz passabel. Seitdem bei einer Revision im Hause Sinn sowohl Zeiger wie auch Zifferblatt ohne vorherige Absprache ausgetauscht wurden und meine 157 seitdem leider ein Zifferblatt ohne den Aufdruck „Swiss Made“ und ohne das „T“ für Titium als Leuchmasse hat, leuchten die Zeiger so gut wie gar nicht mehr, auch dann nicht, wenn man sie lange intensiv hell anleuchtet.
Ganz anders die neue 757. Sie leuchtet in der Nacht ausgesprochen hell und großflächig.
Die Drücker lassen sich bei beiden Uhren in etwa gleich gut bedienen, Die Druckpunkte sind ordentlich definiert, beide Uhrwerke benötigen eine gewisse Druckkraft, was ich aber gut finde, um unbeabsichtigtes Beenden eines Stoppvorgangs zu verhindern.
Die Krone der 757 ist größer und schärfer gerändelt als die der 157, sodass sie sich (noch) besser bedienen lässt.
Die Armbänder sind sich sehr ähnlich. Das Band der 157 ist dünner als das sehr dicke Band der 757, Aber – Lothar Schmidt sei Dank – meine 157 hat schon das im Gegensatz zum Urmodell deutlich verbesserte und dickere Band. An der 157 haben die austauschbaren Glieder Schlitzschrauben, an der 757 die heute bei Sinn üblichen Schrauben mit Innensechskant. Mit beiden Varianten funktioniert die Bandanpassung tadellos. Beide Bänder haben auch die identische, ausklappbare Taucherverlängerung. Ich brauche sie nicht.
Bei beiden Bändern hat die Feinverstellung für meinen Geschmack zu große Lochabstände. Eine Bohrung mehr bei gleicher Gesamtspreizung würde eine feinere Anpassung erlauben. Bei der 157 habe ich mir eine zusätzliche Bohrung selber angebracht, so ist es perfekt. Bei der 757 ist mir das aufgrund des gehärteten Materials nicht möglich – zumindest nicht ohne die Gefahr, mir die Schließe zu vergammeln.
Der Tragekomfort ist bei beiden Uhren nicht besonders hoch, zumindest nicht im Vergleich zu leichten, flachen Quarzuhren. Die 157 baut in Relation zu ihrem Durchmesser recht hoch, was mit dem recht tief am Gehäuse angebrachten Band dazu führt, dass die Uhr gerne kippen möchte. Mit 156 Gramm ist sie kein Leichtgewicht aber für eine mechanische Uhr mit massivem Armband im üblichen Rahmen.
Die 757 hingegen sprengt mit ihren 202 Gramm als einzige meiner Uhren die 200 Gramm-Grenze. Allerdings empfinde ich ihre Proportionen, also das Verhältnis von Durchmesser zur Höhe und zur Armbanddicke als wirklich stimmig und die Proportionen tragen wohl auch mit zum akzeptablen Tragekomfort bei. Aber eines ist klar: Bei beiden Uhren merkt man jederzeit, dass man „da was am Arm“ hat. :-)
Was das Gangverhalten betrifft, liegt meine 157 bei sagenhaften +0,5 Sekunden am Tag. Ich musste sie ein paar Mal feinjustieren, um auf diesen Wert zu kommen, aber bei der 157 ist das ja kein Problem: Boden aufschrauben, etwas an der Stellschraube drehen, Boden wieder zudrehen, fertig.
Meine 757 hat sich ziemlich schnell nach dem Kauf im Dezember 2018 auf +1,5 Sekunden am Tag eingependelt. Auch ein sehr guter Wert. Aber man kann ihn aufgrund des fehlenden Sekundenzeigers ja ohnehin nur „kontrollieren“, wenn man dauerhaft die Stoppzeit mitlaufen lässt – es sei denn, man hat eine Zeitwaage. Habe ich aber nicht, brauche ich auch nicht. Sollte sich der Gang im Laufe der Jahre verschlechtern, ist ein „do it yourself“-Eingriff natürlich mit dem Verlust der Argonfüllung verbunden.
Tja, und welche Uhr ist jetzt die „bessere“?
Nun, auffällig sind beide Uhren am Arm für jeden, der ein bisschen was von Uhren kennt und der eine 08/15 Uhr von einem richtig guten Zeitmesser unterscheiden kann. Selbst wenn man von Weitem nicht die Uhr sondern lediglich das Armband sieht, weiß jeder Kenner sofort: „Ah, ein Sinn-Träger!“
Die neue 757 ist quasi ein direkt aus dem Flugzeugcockpit herausgebautes und an das Handgelenk gekettetes Instrument. Die alleroberste Priorität ist die perfekte Ablesbarkeit der Zeit mit einem flüchtigen Blick, so, wie es auch bei Flugzeuginstrumenten sein soll.
Die 757 ist ein wenig martialisch, sie ist absolut markant, sie ist teuer, sie ist sehr schwer und sie ist natürlich ein Technologieträger, mit Tegimentierung, Argonfüllung, Trockenhaltekapsel, diffundierungsarmen Dichtungen, Magnetfeldschutz und Temperaturresistenztechnologie, sprich besonderem Öl.
All dies ist klasse und sinnvoll und es ist ein Alleinstellungsmerkmal von Sinn-Uhren und verdient meine Anerkennung.
Wegen all dieser Eigenschaften und Besonderheiten und weil mich ihr optisches Erscheinungsbild echt vom Hocker reißt finde ich die 757 UTC einfach geil!
Die alte 157 ist auch ganz klar in erster Linie ein Instrument. Aber eines, was insbesondere im Zifferblattlayout und in ihrer gesamten Dimensionierung und Machart filigraner daherkommt.
Sie benötigte vor einem viertel Jahrhundert all die besonderen Technologien der modernen 757 nicht, um von der Bundeswehr-Erprobungsstelle in Greding unter härtesten Bedingungen für militärische Eignung geprüft und freigegeben zu werden.
Und sie benötigt diese Technologien nicht, um mir auch nach 20 Jahren – wie Sinn es so treffend im historischen Werbetext formuliert – „genau das Quentchen Verläßlichkeit im Leben zu geben, das man manchmal einfach braucht“.
Und genau das, kombiniert mit einem sehr eigenständigen Gehäuse und der Tatsache, dass diese besondere Uhr längst nicht mehr produziert wird und mittlerweile ein gefragtes Vintage-Modell ist, das es jedes Mal, wenn ich es trage, schafft, mich genauso wie ihre moderne Schwester vom Hocker zu reißen, finde ich die 157 St Ty einfach geil!
Gruß
mabel